Montag, Oktober 08, 2007

Vergleichsspannungen für den ebenen Spannungszustand

Einleitung


Den Begriff "Vergleichsspannung" hat jeder Ingenieur schon einmal gehört. Die meisten werden sich auch noch an die folgende einfache Formel erinnern:


Formel 1

Dabei handelt es sich um die Von-Mises-Vergleichsspannung für Stäbe. Hier sollen aber keine Stäbe mit ihrem einachsigen Spannungszustand betrachtet werden sondern Flächen, die einen zweiachsigen Spannungszustand haben. Wenn nur ein einachsiger Spannungszustand betrachtet werden soll, dann brauchen in den Formeln nur einige spannungen zu Null gesetzt werden. Auf den allgemeinen Spannungszustand wird hier nicht eingegangen.

Begriffserklärung


Zunächst soll erst einmal geklärt werden, was eine Vergleichsspannung ist und wozu man diese braucht.

Der allgemeine Spannungszustand eines Körpers wird durch folgende Spannungen beschrieben:


  • sigma x

  • sigma y

  • sigma z

  • tau xy

  • tau yx

  • tau xz

  • tau zx

  • tau yz

  • tau zy

Diese können als Spannungstensor geschrieben werden:

Spannungstensor

Formel 2

Beim ebenen Spannungszustand wird es etwas übersichtlicher. Einiger Spannungen werden Null und es ergibt sich folgender Spannungstensor:

Spannungstensor für den ebenen Spannungszustand

Formel 3

Das ist zwar etwas einfacher als in Formel 1 aber immer noch sehr unhandlich.

Die Materialeigenschaften von vielen Materialien werden durch den Zugversuch ermittelt. Neben den E-Modul wird auch eine Zugfestigkeit ermittelt. Mit dieser Zugfestigkeit muss der reale Spannungszustand verglichen werden. Genau dazu dient die Vergleichsspannung. Der reale mehrachsige Spannungszustand wird durch eine einzige Spannung repräsentiert, die im Material die gleiche Anstrengung verursacht wie der mehrachsige Spannungszustand. Dafür gibt es die verschiedensten Annahmen, die Vergleichsspannungshypothesen genannt werden.

Gestaltänderungshypothese (GEH)


Diese Vergleichsspannungshypothese ist auch unter folgenden Namen bekannt:


  • Vergleichsspannung nach von Mises

  • Gestaltänderungsenergiehypothese


Vergleichsspannung GEH

Formel 4


Bei dieser Hypothese wird davon ausgegangen, dass der Werkstoff versagt, wenn die Gestaltänderungsenergie eine bestimmte Grenze überschreitet. Unter Gestaltänderungsenergie wird die Energie verstanden, die eine Verzerrung oder Deformation des Körpers hervorruft.

Bei hydrostatischen Spannungszuständen ist diese Vergleichsspannung Null. Hydrostatisch bedeutet, dass die Spannung in allen Richtungen gleich ist. Wenn näherungsweise ein hydrostatischer Spannungszustand vorliegt, dann sollte diese Hypothese nicht angewendet werden.

Die Vergleichsspannung nach der Gestaltänderungshypothese ist mit Sicherheit die bekannteste und am häufigsten angewendete Vergleichsspannung. Für alle Materialien, die nicht spröde sind, kann diese Hypothese angewendet werden. Ein wichtiges Anwendungsgebiet ist der Stahlhochbau.

Schubspannungshypothese (SH)


Diese Vergleichsspannungshypothese ist auch unter folgenden Namen bekannt:


  • Vergleichsspannung nach Tresca



Formel 5


Bei dieser Hypothese wird davon ausgegangen, dass das Versagen durch die maximale Schubspannung hervorgerufen wird.

Besonders im Maschinenbau wird diese Hypothese gerne angewendet. Sie eignet sich besonders für spröde Werkstoffe.


Normalspannungshypothese (NH)


Diese Vergleichsspannungshypothese ist auch unter folgenden Namen bekannt:


  • Vergleichsspannung nach Rankine

  • Vergleichsspannung nach Lame


Formel 6

Bei dieser Hypothese wird davon ausgegangen, dass die größte Hauptspannung zum Versagen führt.

Mit der Formel werden also nichts weiter als die Hauptspannungen berechnet. Die Hauptspannungen sind per Definition die Eigenwerte des Spannungstensors. Wenn man den Eigenwert des Spannungstensors (Formel 3) berechnet, dann bekommt man genau diese Gleichung (siehe [2]).


Hauptdehnungshypothese (DH)


Diese Vergleichsspannungshypothese ist auch unter folgenden Namen bekannt:


  • Vergleichsspannung nach Bach

  • Vergleichsspannung nach Navier



Formel 7



Es wird davon ausgegangen, dass die maximale Dehnung zum Versagen führt. Deswegen kann die Formel auch so ausgedrückt werden:



Formel 8


Literatur


[1] Petersen, Stahlbau, Grundlagen der Berechnung und baulichen Ausbildung, 3. Auflage,Vieweg&Sohn Verlagsgesellschaft mbH, Braunschweig/Wiesbaden


Donnerstag, März 22, 2007

Lastfallüberlagerung nach DIN1055-100

Seit einiger Zeit ist ja eine neue Generation von Normen mit Vorschriften zu Lastannahmen und zur Lastfallüberlagerung in Kraft.


Hier sollen die Überlagerungsvorschriften nach DIN1055-100 aus dem Blickwinkel von räumlichen FE-Modellen etwas genauer beleuchtet werden.


Die neuen Norm vervielfacht den notwendigen Arbeitsaufwand für den Statiker. Oft wird argumentiert, dass die Berechnungsprogramme dem Statiker die Arbeit abnehmen. Das mag für die herkömmliche Positionsstatik auch stimmen. Nur wie sieht es aus, wenn räumlich gerechnet wird?


Für ein kleines Beispiel soll das mal etwas näher betrachtet werden.


Ausgangspunkt für die Betrachtungen soll folgende kleine 3D-Struktur sein:


Das FE-Modell besteht vorwiegend aus Flächenelementen und es ergeben sich ca. 10000 FE-Knoten. Gelagert ist das Modell durch eine elastisch gebettete Bodenplatte mit Ausfall bei Zug. Das ist sicherlich keine außergewöhliche Lagerung aber durch den Zugausfall entsteht ein nichtlineares System, was iterativ gerechntet werden muss.



Folgende Lastfälle sollen betrachtet werden:


  • LF1: Eigengewicht
  • LF2: Nutzlast
  • LF3: Schnee
  • LF4: Wind in X
  • LF5: Wind in -X
  • LF6: Wind in Y
  • LF7: Wind in -Y
  • LF8: Fahrzeuganprall an Stütze 1
  • LF9: Fahrzeuganprall an Stütze 2
  • LF10: Fahrzeuganprall an Stütze 3

Daraus ergeben sich vier unabhängige Einwirkungen:


  • EW1: Eigengewicht
  • EW2: Nutzlast
  • EW3: Schnee
  • EW4: Wind
  • EW5: Fahrzeuganprall

Jetzt werden alle Kombinationen nach der DIN1055-100 gebildet. Das Problem dabei ist, dass nicht eindeutig festgelegt werden kann, welche Einwirkungen "führende" sind und welche nur "begleitend". Für die Dachkonstruktion könnte Schnee die führende Einwirkung sein, für die Stützen die Nutzlast und für die Aussteifung die Windlast. Für die Berechnung von Einzelbauteilen ist das kein Problem. Aber bei räumlichen Systemen bleibt nicht weiter übrig, als alle möglichen Kombinationen zu bilden.


Es ergeben sich daraus folgende Lastfallkombinationen:


  • Lagesicherheit Grundkombination: 75
  • Lagesicherheit außergewöhnlich: 223
  • Tragsicherheit Grundkombination: 38
  • Tragsicherheit außergewöhnlich: 112
  • Gebrauchstauglichkeit charakteristisch: 38
  • Gebrauchstauglichkeit häufig: 38
  • Gebrauchstauglichkeit quasi-ständig: 21

Insgesamt sind das 545 zu berechnende Lastfallkombinationen. Schauen wir uns mal die entstehende Datenmenge etwas genauer an.



Datenmenge



Für eine Gleitkommazahl werden zum Speichern 64bit=8byte benötigt.


Ein FE-Programm errechnet an jeden FE-Knoten eine ganze Reihe von Verformungen, Schnittgrößen, Spanungen und Winkel. Im Falle vom RFEM sind das etwa 50 Werte. Das bedeutet, dass pro FE-Knoten für jede Lastfallkombination eine Datenmenge von 50*8=400byte anfallen.


Für unser kleines System mit 10000 Knoten ergeben sich pro Lastfallkombination 400*10000=4000000byte=4Mbyte.


Diese Datenmenge fällt für jede Lastfallkombination an. Damit ergibt sich eine Gesamtdatenmenge von 545*4=2180Mbyte=2,18Gbyte. Das entspricht der Kapazität von 3 CDs.


Auch für moderne Computer mit Festplatten von 200 - 300 Gbyte ist das ein gewaltiger Brocken.



Rechenzeit



Wie schon angedeutet muss die Berechnung bei diesem Beispiel interativ durchgeführt werden. Ursache ist die ausfallende Bettung. Die Berechnung läuft so ab:


Im ersten Rechendurchgang wird ganz normal linear gerechnet. Für die gebetteten Elemente, die Zugspannungen aufweisen, wird die Bettung ausgeschaltet. Dieses geänderte statische System wird im zweiten Rechengang verwendet. Es wird wieder nach Elementen mit Zugspannung gesucht. Deren Bettung wird angeschaltet und so weiter.


Wenn keine Änderungen der Bettung mehr auftreten, dann wird die Berechnung beendet.


Wie schnell ein System konvergiert, kann nicht pauschal gesagt werden. Das hängt von vielen Faktoren ab, unter anderen vom Typ der Elemente, von der angestrebten Genauigkeit und natürlich auch von der Leistungsfähigkeit der Hardware. Deswegen sind die folgenden Zahlen nur grobe Näherungen. Sie basieren auf dem FEM-Programm RFEM.


Pro Iteration braucht ein Rechner ca. 10 Sekunden. Für jede Lastfallkombination sind durchschnittlich ca. 5 Iterationen notwendig. Also ist eine Lastfallkombination in 50 Sekunden berechnet.


Für 545 Lastfallkombinationen ergibt sich damit eine Rechenzeit von 7,6 Stunden. Das heißt, dass paraktisch nach jeder Änderung ein Rechenlauf über Nacht notwendig ist.



Fazit: bessere Lastannahmen aber schlechtere Modelle



Durch die neuen Überlagerungsvorschriften der DIN1055-100 wird das Sicherheitsniveau verbessert. Schon bei kleineren räumlichen Systemen ist es aber praktisch nicht mehr möglich, konsequent nach dieser Norm zu rechnen. Will man die Norm umsetzen, dann bleibt nur, zur herkömmlichen Positionsstakik zurückzukehren. Das bessere Sicherheitsniveau der Lastannahmen geht also auf Kosten der Modellgenauigkeit.